Als ab April 1945 das Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg und die Außenlager in Norddeutschland vor den heranrückenden Alliierten geräumt wurde, wurden die Häftlinge auf Todesmärsche geschickt. Ein Teil sollte in das KZ Bergen-Belsen transportiert werden. Da Bergen-Belsen aber kurz vor der Befreiung stand, leitete die SS die Transporte mit den KZ-Häftlingen durch den ganzen norddeutschen Raum, bis schließlich ab dem 12. April 1945 ein Teil der Transporte mit etwa 9.500 KZ-Häftlingen das Kriegsgefangenenlager Sandbostel erreichte. Die erschöpften und ausgezehrten Häftlinge wurden in einem zuvor geräumten und extra gesicherten Lagerteil weitgehend sich selbst überlassen.
Der italienische Militärgeistliche Don Luigi Pasa berichtet in seinen Erinnerungen 1947 über die Ankunft der KZ-Häftlinge in Sandbostel:
"Menschlicher Verstand wird niemals eine solch schreckliche Szene begreifen können wie jene, die meine ... Augen heute Vormittag mit ansehen mussten. Es sind ungefähr 8000 politische
Häftlinge angekommen. Überwiegend Mengen von skelettierten Kadavern....Die Überlebenden wirkten verloren und hatten nicht mehr das Aussehen von Menschen. Alle Nationalitäten, alle sozialen
Kategorien. Hilfe zu bringen wäre in diesem Augenblick unmöglich und gefährlich gewesen. Eine von jenseits des Zaunes herübergeworfene Kartoffel ist Ursache eines wilden Kampfes, um in ihren
Besitz zu kommen. Und es kamen immer mehr. Wenn sie die Waggons öffneten, waren mehr als die Hälfte tot. Von fünfzig Eingeschlossenen erreichten nur noch ein atmender Italiener und ein Russe das
Ziel. Aus dem nichtigsten Anlass wurde scharf geschossen. Es ist die verfluchte SS. Sie töteten sogar diejenigen, die um die Toten weinen..."
Anfangs versuchten die Kriegsgefangenen nach Absprache mit der Lagerleitung den Deportierten zu helfen, aber mit dem Eintreffen von weiteren Evakuierungstransporten aus dem KZ Neuengamme wurde
diese wohl einzige Versorgung der KZ-Häftlinge verboten und es galt von nun an Schießbefehl gegen alle Kriegsgefangenen die sich dem Lagerteil näherten, in dem die KZ-Häftlinge untergebracht
waren.
Am späten Abend des 19. April - der Geschützdonner der heranrückenden britischen Armee war bereits zu hören - brach unter den Häftlingen ein Aufstand aus, der von Überlebenden später als "Hungerrevolte" bezeichnet wurde. Auslöser war vermutlich, dass die SS angeordnet hatte, dass alle KZ-Häftlinge wieder zurück nach Hamburg gebracht werden sollten. Die Häftlinge widersetzen sich verzweifelt der Anordnung und versuchten ihre erneute Deportation zu verhindern, so dass nur wenige hundert von der SS und den Wachmannschaften zusammengetrieben werden konnten.
Möglicherweise während des Appells der noch marschfähigen KZ-Häftlinge kam es dann zu einem Fliegeralarm. In dem dabei entstehenden Chaos versuchte ein Teil der Häftlinge den hinteren Zaun des Lagerteils einzureißen. Ein anderer Teil stürmte am Eingang des Lagerteils auf der Suche nach Essbarem die angrenzenden Lagerräume einer der Lagerküchen. Der Aufstand wurde von der SS und den Wachmannschaften niedergeschlagen und hunderte Häftlinge dabei erschossen.
In den frühen Morgenstunden des folgenden 20. April verließen die SS und Teile der Wachmannschaften zusammen mit einigen hundert KZ-Häftlingen das Lager und die Kriegsgefangenen konnten den Deportierten Hilfe bringen. Die deutsche Lagerleitung erklärte sich einverstanden, dass sich von nun an die Kriegsgefangenen unter Führung des ranghöchsten Kriegsgefangenen Marcel Albert der Häftlinge annahmen.
Das Kriegsgefangenenkomitee unter der Leitung des französischen Colonel Marcel Albert begannen umgehend mit ihrer bemerkenswerten und herausragenden Nothilfe, die vielen Häftlingen das Leben rettete. Wenige Tage später wurde das Lager Sandbostel dann am 29. April 1945 endgültig von Einheiten der britischen Armee befreit.
Unbestattete Leichname im KZ-Bereich des Stalag X B Sandbostel. Foto: vermutlich Georges Chertier, nicht datiert. Privatbesitz
(Im Archiv der Gedenkstätte sind über 50 Fotos aus dieser Phase vorhanden, die die grauenvollen und katastrophalen Bedingungen und die an Hunger und Erschöpfung gestorbenen oder niedergeschossenen KZ-Häftlinge zeigen. Aus Respekt den Opfern gegenüber zeigen wir nur einen kleinen Teil dieser Abbildungen.)